Institut für Palästinakunde
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Preisverleihung für Code Pink?! Offener Brief an die Oberen der Stadt Bayreuth [29.02.2016]

von Naji Al-Ali Der nachfolgende offene Brief wurde NICHT versandt, da sich eine Mehrheit im Rat der Stadt Bayreuth am 25. Februar nicht von der Kampagne gegen Code Pink beeindrucken liess.

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin der Stadt Bayreuth,
sehr geehrte Damen und Herren Mitglieder des Stadtrats,

zu Beginn dieser Woche erfuhren wir, daß nicht nur Benjamin Weinthal – ein Israel-Lobbyist, der seit Jahren jeden bedrängt und bedroht, der die israelische Politik kritisiert – sondern auch die Deutsch-Israelische Parlamentariergruppe (DIPG) droht Sie als Antisemiten zu stigmatisieren, falls Sie sich nicht gegen die Preisverleihung an „Code Pink“ entscheiden.

Besonders das Schreiben der DIPG hat uns dazu bewogen diesen offenen Brief zu verfassen, um nicht nur Ihre sondern auch unsere Freiheit gegen diese unverschämten Zensurversuche zu verteidigen.

Wir sind der Ansicht, dass Sie sich von dieser Mischung aus Arroganz, Inkompetenz und Bigotterie nicht beeindrucken lassen sollten: von einem Schreiben, das vor allem anderen zeigt, dass die Mitgliedschaft im deutschen Bundestag weder überdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten voraussetzt noch mit sich bringt, etwa die Fähigkeit die Realität wahrzunehmen, sie zu verarbeiten und daraus rationale Schlüsse zu ziehen.

Apartheid: Israel

Wir beginnen diesen Abschnitt mit einem Zitat Nelson Mandelas, der zu Palästina erklärte:
"Wir wissen nur zu gut, daß unsere Freiheit unvollständig ohne die Freiheit der Palästinenser ist."

Während sich Mandela nicht zu der Frage geäussert hat, ob Israel ein Apartheidsstaat sei oder nicht, sind viele seiner prominenten Mitstreiter – wie Desmond Tutu, Allan Boesak, Ronny Kasrils oder Denis Goldberg - zu der Auffassung gelangt, daß Israel ein Apartheidsstaat ist.

Die Lage der Palästinenser ist dazu weitaus prekärer als die der Schwarzen unter Südafrikas Herrschaft: Während das Buren-Regime auf die Arbeitskraft der Schwarzen angewiesen war, hatte der Jischuw bereits in den zwanziger Jahren damit begonnen, palästinensische Arbeiter, Bauern und Geschäftsinhaber zu boykottieren. Denn der Ausschluss der Palästinenser aus der Ökonomie des geplanten jüdischen Staates war eine der Voraussetzungen für deren Vertreibung und Beraubung im Jahr 1948, der ‚nakba‘.

Israel ist auch unabhängig von der Einschätzung der oben Genannten ein Apartheidstaat, da er alle dafür erforderlichen Kriterien erfüllt:

1. Israel praktiziert eine institutionalisierte, legale Diskriminierung zwischen Juden und Nichtjuden. Es definiert sich bekanntlich als „Jüdischer Staat“, nicht etwa - wie in westlichen Demokratien üblich - als Staat all seiner Bewohner.
2. Israel betreibt eine Politik gezielter Segregation, die sich in einem komplexen System aus informellen, rechtlichen, politischen bis hin zu physischen Barrieren (Mauern und Zäunen) niederschlägt.
3. Israel setzt exzessive Gewalt gegen palästinensische Zivilisten ein – bis hin zu Bombern und Panzern - um die Privilegien seiner jüdischen Bewohner zu sichern.

Ein Staat, für den eine solche Praktiken konstituierend ist, nennt man Apartheidsstaat.
Politiker, die diesen - fundamentale demokratische Standards verletzenden - Staat rückhaltlos unterstützen, müssen folglich als Apartheidspolitiker bezeichnet werden.

Antiapartheid: Boykott, Divestment, Sanctions (BDS)

Die von der DIPG mit viel Pathos vorgetragene Behauptung, daß sich die 'Boykott, Divestment, Sanctions'-Kampagne gegen Juden richte nur weil (!) sie Juden seien, ist ebenso falsch wie beleidigend.
Wenn das auch nur im allergeringsten zuträfe, würden sich jüdische Friedens-, Menschen- und Bürgerrechts­aktivisten - wie Medea Benjamin von „Code Pink“ - wohl kaum daran beteiligen.

Die BDS-Kampagne startete 2005, ein Jahr nachdem ein Gutachten des Internationalen Strafgerichtshof die weit in in die Westbank ausgreifende Apartheidsmauer für illegal erklärt hatte, was ohne irgendwelche Konsequenzen blieb: Internationales Recht wird von Israels Führung gewohnheitsmässig gebrochen – und seine westlichen Freunde sehen darüber ebenso gewohnheitsmässig hinweg.

Die von mehr als 170 palästinensischen NGOs getragene Kampagne zielt natürlich nicht darauf ab Juden zu ruinieren, auzurauben, zu vertreiben oder zu töten, weil sie Juden sind. Sie richtet sich vielmehr gegen die Institutionen und Organe des israelischen Staates, der nicht erst seit seiner Gründung eine gezielte Politik des Ruins und der Vertreibung der Palästinenser betreibt, um sich deren Land anzueignen und es mit jüdischen Siedlern zu besetzen.
Daß dies tagtäglich geschieht und daß es kriminell ist, wird vermutlich nicht einmal von der DIPG bestritten, hoffen wir.

Und so wie der Boykott Südafrikas mit dem Ende der Apartheid endete, so wird natürlich auch der Boykott Israels enden, nachdem es die fundamentalen Bürger- und Menschenrechte der Palästinenser und der von ihm vertriebenen anerkannt hat.

Zweistaaten-Lösung: Käfighaltung für Palästinenser

Nichts ist noch lächerlicher, als das Bekenntnis der DIPG zur „Zweistaaten-Lösung“, sowie der Vorwurf, daß die BDS-Kampagne sie unterminiere.
Alle seriösen Beobachter Israels wissen, dass die israelische Politik der größte Feind der „Zwei­staaten-Lösung“ ist. Denn sie hat den vermeintlichen „Friedensprozess“ ganz allein dazu genutzt, um die Zahl der Siedler zu verdreifachen und den Palästinensern eine Führung korrupter Quislinge aufzuoktroyieren.
Ausserdem erklärt die israelische Führung für jeden hörbar – außer für jene, die wie die DIPG vorsätzlich die Ohren verschließen – daß sie keine Zweistaatenlösung will.

Das Ziel Israels besteht erkennbar in der Bantustanisierung der Westbank, wovon auch die alljährlichen Berichte der EU-Missionen in den Besetzten Gebieten zeugen, die dank der Israelfreunde in der EU Jahr für Jahr unter den Tisch gekehrt werden. Was den Palästinensern in diesen Bantustans droht, zeigt das grösste, bereits existierende: der Gaza-Streifen, in dem 1.8 Millionen Palästinenser zusammen gepfercht wurden, der von Israel seit Jahren militärisch belagert sowie regelmässig mit mörderischen Strafexpeditionen überzogen - und einer UN-Studie zufolge ab 2020 unbe­wohn­bar sein wird.

Im Fall Südafrika hat sich der Westen - sogar inklusive Israels, damals wichtiger Waffentlieferant des Apartheidsregimes – geweigert, dessen Bantustane anzuerkennen.
In Palästina verfolgen die Freunde Israels, wie auch die DIPG, jedoch unübersehbar das Ziel, eine Ansammlung lebensunfähiger, lose miteinander gekoppelter Kantone unter der Führung irgendeines palästinensischen Quislings als „Zweistaatenlösung“ anzuerkennen.

Israels Freunde im Bundestag: DIPG

Es ist natürlich kein Zufall, dass sich der DIPG-Vorstand im Gefolge Weinthals derart gegen die Preisverleihung an „Code-Pink“ stemmt – und nicht einmal davor zurückschreckt, jüdische Aktivistinnen des Antisemitismus zu verdächtigen und den Repräsentanten der Stadt Bayreuth mit der Antisemitismus-Stigmatisierung zu drohen.
Der Grund für diesen heroischen Einsatz liegt darin, dass die israelische Führung die von der BDS-Kampagne ausgehende Bedrohung mittlerweile erkannt hat. Israel setzt daher seit Monaten international alle Hebel und Freunde in den Medien und der Politik - sowie auch viel Geld in Bewegung, um die BDS-Kampagne als antisemitisch zu skandalisieren und zu kriminalisieren.

Dass die Lobbyisten mit der Antisemitismus-Greuelpropaganda längerfristig Erfolg haben werden ist jedoch eher zweifelhaft. Denn mittlerweile sind auch einige ebenso prominente wie langjährige liberale Verteidiger israelischer Politik in Israel und in den USA zu der Ansicht gelangt, dass ein Boykott Israels notwendig ist, um dessen fortschreitende Verwandlung in ein antiliberales jüdisch-fundamentalistisch/ultra-nationalistisches Regime aufzuhalten.

Bayreuth: Mut zum Votum gegen Krieg und gegen Zensur

Wenn Menschen- und Bürgerrechte für Sie - verehrte Oberbürgermeisterin und verehrte Damen bzw. Herren StadträtInnen der Stadt Bayreuth – von Bedeutung sind, wenn sie Krieg nicht für ein legitimes Mittel zur Durchsetzung nationaler Interessen halten, wenn Sie sehen, dass Flüchtlinge von Kriegen gemacht werden und wenn Sie sich auch für einen gerechten Frieden in Palästina/Israel einsetzen wollen, dann lassen Sie sich bei Ihrer Entscheidung zur Preisverleihung nicht von Lobbyisten beeindrucken, welche die Realität nur durch die Schlitze der Helm-Visieren wahrnehmen können, die ihnen von anderen aufgesetzt wurden.

 (ts)

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