Institut für Palästinakunde
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Aufruf: Solidarität mit Achille Mbembe [09.05.2020]

Zensur 1. Mai 2020

Wir, die Unterzeichner*innen dieser Stellungnahme, beschäftigen uns von Berufs wegen mit der Geschichte des Antisemitismus und Nationalsozialismus, des Kolonialismus und Rassismus in ihren unterschiedlichen Ausprägungen. Einige von uns sind in der Genozid-Forschung tätig.

Als Wissenschaftler*innen nehmen wir mit großem Befremden die schwerwiegenden Vorwürfe zur Kenntnis, die gegen unseren Kollegen Prof. Achille Mbembe von unterschiedlichen Seiten erhoben worden sind. Er sollte den Eröffnungsvortrag bei der diesjährigen Ruhrtriennale halten, die der Aufsichtsrat der Kultur Ruhr GmbH mittlerweile jedoch wegen der Corona-Pandemie abgesagt hat.

Es geht uns um die Art und Weise, wie versucht worden ist, ins Programm einzugreifen und Achille Mbembe als Hauptredner zu diskreditieren. Gegen ihn wurden Vorwürfe ins Feld geführt, die gerade in einem Land wie der Bundesrepublik schwerer kaum wiegen könnten: Relativierung und Verharmlosung des Holocaust und – letztlich – Antisemitismus.

In den Augen seiner Kritiker*innen bestand Mbembes Verfehlung unter anderem darin, politische und ideengeschichtliche Ähnlichkeiten seit der Sklaverei und Kontinuitäten zwischen Kolonialregimen und der NS-Ideologie herauszuarbeiten bzw. auf eine Gemeinsamkeit der NS-Politik mit der südafrikanischen Apartheid aufmerksam zu machen – ohne dabei die Vernichtungspolitik der Nazis mit der Apartheid gleichzusetzen, wie behauptet worden ist. Wer die Schriften Mbembes aufmerksam gelesen hat, wird viel Stoff zur kritischen Auseinandersetzung finden und vielleicht mancher Aussage widersprechen wollen.

Geschichte als wissenschaftliche Disziplin kommt jedoch ohne analytische Vergleiche nicht aus. Ohne die vergleichende Betrachtung wäre ein Erkenntnisgewinn in der Geschichtswissenschaft, wie in den meisten anderen Wissenschaftsdisziplinen, grundsätzlich nicht möglich. Unseren Kollegen dafür der Verharmlosung der Shoa oder gar Gleichsetzung des Genozids an den europäischen Jüdinnen und Juden mit dem rassistischen Regime Apartheid-Südafrikas zu bezichtigen, stellt eine fundamentale Grundlage der Wissenschaft in Frage und ist deshalb falsch. Historische Vergleiche, die ja dazu dienen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ereignissen, Diskursen und Prozessen herauszuarbeiten, sind nötig und legitim. Darauf haben im Juli 2019 unter anderem rund 600 Kolleg*innen, international anerkannte Historiker*innen, Holocaust- und Genozid-Forscher*innen, in einem offenen Brief an die Direktorin des US Holocaust Memorial Museum aufmerksam gemacht. Zwischen zulässigen Vergleichen und unzulässigen Gleichsetzungen besteht ein wichtiger und wesentlicher Unterschied. Zweifel an der Singularität des Holocaust oder seine Relativierung wird man bei Achille Mbembe vergeblich suchen.

Achille Mbembe hat jenseits seines wissenschaftlichen Arbeitens verschiedentlich Position zur israelischen Siedlungspolitik bezogen. Für dieses Engagement wird er jetzt angegriffen und von manchen seiner Kritiker*innen als Antisemit diffamiert. Nun kann man unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob die von der BDS-Bewegung gewählte Taktik zur Erlangung palästinensischer Rechte – der Boykott des Staates Israel, Sanktionen und Investitionsabzug – als Instrumente zielführend und gerecht sind. Solche Maßnahmen gehen immer auch zu Lasten von Menschen, die unbeteiligt sind oder sogar für dieselben politischen Ziele einstehen. Auch im Streit um BDS, der nicht nur in Deutschland seit Längerem tobt, der sich hier aus verständlichen Gründen aber besonders heftig und emotional aufgeladen abspielt, weisen wir darauf hin, dass zwischen zulässigen Vergleichen und unzulässigen Gleichsetzungen ein wichtiger und wesentlicher Unterschied besteht.Die Berührungspunkte zu BDS in seiner Vergangenheit bewertet Mbembe selbst heutzutage kritisch, seine damit verbundene Forderung, dass die Menschenrechte für alle gelten müssen, jedoch nicht. Wer diese Haltung als antisemitisch kritisiert, weil sie sich gegen die Politik des Staates Israel richtet, unterstützt mit derlei Argumentation die weitere Schwächung des Völkerrechts und der Menschenrechte.

Als Wissenschaftler*innen lehnen wir diese Art von Kampagnen ab, die Personen, die als politische Gegner ausgemacht wurden, ohne Beweise, unter Zuhilfenahme manipulativ verzerrter Zitate und Inhalte desavouieren sollen. Ebenso lehnen wir die missbräuchliche Verwendung des Antisemitismusbegriffs ab. Gerade in Deutschland sollten sich alle der Ernsthaftigkeit der antisemitischen Bedrohung und der Dringlichkeit, dagegen vorzugehen, bewusst sein. Es ist nicht die Zeit, diesen Begriff im Dienst politischer Interessen, die nichts mit der Bekämpfung des Antisemitismus zu tun haben, zu missbrauchen.

Als Bürger*innen halten wir die Rückkehr zu einer Debattenkultur, die einer den Bürger*innen- und Menschenrechten verpflichteten Demokratie würdig ist, für dringend geboten.

Wir erklären uns mit Prof. Achille Mbembe solidarisch.

Erstunterzeichner*innen

Prof. Dr. Gadi Algazi, Department of History, Tel Aviv University
Prof. Dr. Aleida Assmann, Fachbereich Literaturwissenschaft/Anglistik, Universität Konstanz
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Jan Assmann, Institut für Ägyptologie, Universität Heidelberg
Dr. Felix Axster, Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin
Prof. Omer Bartov, John P. Birkelund Distinguished Professor of European History and Professor of German Studies, Brown University, Providence, RI
Prof. Dr. Wolfgang Benz, ehem. Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin
PD Dr. Eva Bischoff, Fachbereich Internationale Geschichte, Universität Trier
Prof. Dr. Micha Brumlik, Fachbereich Erziehungswissenschaften, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt/Main
Prof. Dr. Andreas Eckert, Direktor des Instituts für Asien- und Afrikawissenschaften, Direktor Internationales Geisteswissenschaftliches Kolleg Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive, Humboldt Universität Berlin
Prof. Dr. Brian K. Feltman, Associate Professor of History, Georgia Southern University, Statesboro, GA.
Prof. Dr. Norbert Finzsch, Abteilung für Nordamerikanische Geschichte, Universität zu Köln
Prof. Max Paul Friedman, History Department, American University, Washington DC
Alexander Göbel, Historiker und Journalist, Bonn
Prof. Rebecca Gould, School of Languages, Cultures, Art History and Music, Islamic World and Comparative Literature, University of Birmingham
Prof. Dr. Eva Illouz, Department of Sociology and Anthropology, The Hebrew University of Jerusalem
Prof. Dr. Eric Kurlander, J. Ollie Edmunds Chair, Professor of History, Stetson University, DeLand, FL
Dr. Katharina Loeber, Historikerin und Südafrikaspezialistin, Köln
Prof. Dr. Dirk Moses, Professor of Modern History, The University of Sydney
Prof. Dr. Susan Neiman, Direktorin Einstein Forum Potsdam
Riad Othman, Historiker, Nahostreferent medico international e. V., Berlin
Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Reinhard, Neuere Geschichte, Historisches Seminar, Universität Freiburg
Prof. Dr. Thomas Reinhardt, Institut für Ethnologie, Ludwig-Maximilians-Universität München
Prof. Dr. Michael Rothberg, 1939 Society Samuel Goetz Chair in Holocaust Studies, English and Comparative Literature, University of California, Los Angeles, CA
Alexandra Senfft, Autorin und Publizistin
Prof. Dr. Michael Zeuske, Bonn Center for Dependency and Slavery Studies, Rheinische Friedrichs-Wilhelms-Universität Bonn
Prof. Dr. Moshe Zimmermann, ehem. Direktor des Richard Koebner Minerva Center for German History, The Hebrew University of Jerusalem
Prof. Dr. Moshe Zuckermann, Cohn Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas, ehem. Direktor The Minerva Institute for German History, Tel Aviv University

 (ts)

Ergänzende Links:
Zum Schweigen gebracht (taz)
Jewish, Israeli scholars back African intellectual smeared for Israel criticism (972mag)

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