Institut für Palästinakunde
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Start / Gesellschaft (Archiv 2011) / 2011060800

"Ich organisierte diese friedlichen Demonstrationen, um unser Land und unser Volk zu verteidigen." (B. Tamimi, Nabi Saleh) [08.06.2011]

Ich organisierte diese friedlichen Demonstrationen, um unser Land und unser Volk zu verteidigen. Nach mehr als zwei Monaten in Haft, begann am Sonntag vor dem Militärgericht der Prozess gegen Bassem Tamimi (44), der seit 2009 die Proteste in dem Dorf Nabi Saleh, nördlich von Ramallah, im Westjordanland organisiert.

Tamimi, ein langjähriger Aktivist, wurde bereits neunmal inhaftiert und sass ingesamt drei Jahre im Gefängnis, ohne einen regulären Prozess. (Die ihn belastenden 'Beweise' wurden ihm und seinen Anwälten vom Gericht vorenthalten: eine Spezialität der israelischen 'Justiz'.)
1993 versuchten Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes ihn durch Folter zu einem 'Geständnis' in einem Mordfall zu zwingen, infolgedessen er in ein einwöchiges Koma fiel.

Als einer der Organisatoren der Proteste in Nabi Saleh ist Tamimi häufiges Ziel von Attacken der isr. Armee und Polizei. Sein 1965 gebautes Haus, für das eine Abrissverfügung besteht wurde bereits mehrfach durchwühlt, seine Frau zweimal festgenommen. Sein Sohn Wa'ed (14) musste für eine Woche ins Krankenhaus, nachdem ein Gummigeschoss in sein Bein eingedrungen war. Sein Bruder Mohammed (8) wurde von einem Tränengasprojektil an der Schulter verletzt, das auf kurze Distanz direkt auf ihn abgeschossen wurde.

Seit dem Beginn der Proteste in Jahr 2009, haben die Besatzer 71 Verhaftungen in Nabi Saleh durchgeführt, das ca. 500 Einwhoher hat. In den letzten beiden Monaten wurden 24 Einwohner verhaftet, davon etwa die Hälfte Minderjährige. Der jüngste war 11 Jahre alt.

Die aktuelle Anklage gegen Tamimi basiert auf einem ihn belastendes Geständniss eines 14-jährigen Jugendlichen aus Nabi Saleh, der nach dem üblichen Verfahren in der Mitte der Nacht aus seinem Elternhaus verhaftet und am nachfolgendem Morgen ohne irgendeinen Beistand verhört wurde.
Tamimi werden demnach "Aufstachelung", "Organisation und Teilnahme an unbefugten Demonstrationen" und "Aufforderung zum Steinewerfen" vorgeworfen.
Nach israelischen 'Standards' muss er mit ein bis zwei Jahren Haft rechnen.


Bassem Tamimis Erklärung vor Gericht

Euer Ehren,

Ich halte diese Rede in dem Glauben an Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit, dem Recht in Würde zu leben und dem Respekt für das freie Denken in Abwesenheit gerechter Gesetze.

Jedes Mal, wenn ich aufgefordert werde vor Ihren Gerichten zu erscheinen, werde ich nervös und ängstlich. Vor achtzehn Jahren, wurde meine Schwester in einem Gerichtssaal wie diesem, von einem der Mitarbeiter desselben getötet. In meinem Leben wurde ich neun Male für insgesamt fast 3 Jahre eingesperrt, obwohl ich nie angeklagt oder verurteilt wurde. Während meiner Gefangenschaft wurde ich infolge der Folter durch Ihre Ermittler paralysiert. Meine Frau wurde festgenommen, meine Kinder verletzt, mein Land wurde von Siedlern gestohlen und jetzt soll mein Haus abgerissen werden.

Ich wurde zur gleichen Zeit wie die Besatzung geboren und habe seitdem unter der ihr innewohnenden Unmenschlichkeit und Ungleichheit, dem Rassismus und dem Mangel an Freiheit gelebt. Doch trotz alledem wurde mein Glaube an menschliche Werte und die Notwendigkeit des Frieden in diesem Land nie erschüttert. Leid und Unterdrückung haben mein Herz nicht mit Hass gegen irgendjemanden erfüllt, noch haben sie in mir den Wunsch nach Rache entzündet. Im Gegenteil, sie verstärkten meinen Glauben an Frieden und nationale Standhaftigkeit als angemessene Antwort auf die Unmenschlichkeit der Besatzung.

Das internationale Recht garantiert das Recht des besetzten Volkes sich der Besatzung zu widerstehen. Bei der Ausübung meines Rechts habe ich zu friedliche Demonstrationen gegen die Besatzung aufgerufen und sie organisiert: gegen Siedler-Attacken und gegen den Diebstahl von mehr als der Hälfte des Landes meines Dorfes Nabi Saleh, in dem die Gräber meine Vorfahren seit undenklicher Zeit liegen.

Ich organisierte diese friedlichen Demonstrationen, um unser Land und unser Volk zu verteidigen. Ich weiß nicht, ob meine Handlungen Ihre Besatzungsgesetze verletzen. Soweit es mich betrifft, gelten diese Gesetze nicht und sind ohne Bedeutung. Von den Besatzungsbehörden erlassen, weise ich sie zurück und kann ihre Gültigkeit nicht anerkennen.

Trotz der Behauptung, die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein, klagen sie mich unter militärischen Gesetzen an, die jedweder Legimität entbehren; Gesetze, die von Behörden erlassen wurden, die ich nicht gewählt habe und die mich nicht repräsentieren.

Ich werde beschuldigt friedliche unbewaffnete Demonstrationen organisiert zu haben, die keine militärische Aspekte aufweisen und nach internationalem Recht legal sind.

Wir haben das Recht, unsere Zurückweisung der Besatzung in all ihren Formen auszudrücken; unsere Freiheit und Würde als ein Volk zu verteidigen und nach Gerechtigkeit und Frieden in unserem Land zu streben, um unsere Kinder zu schützen und ihre Zukunft zu sichern.

Die zivile Natur unseres Handelns ist das Licht, das die Dunkelheit der Besatzung überwinden wird, die Morgenröte der Freiheit, welche die kalten Handgelenke in den Ketten erwärmen, die Verzweiflung von der Seele fegen und Jahrzehnte der Unterdrückung beenden wird.

Diese Aktionen sind es, die das wahre Gesicht der Besatzung enthüllen, wo Soldaten ihr Gewehre auf eine Frau richten die zu Fuß zu ihren Feldern oder dem Checkpoint geht, auf ein Kind das das süßes Wasser aus der sagenumwobenen Quelle seiner Vorfahren trinken will, auf einen alten Mann, der im Schatten eines Olivenbaums sitzen möchte, der einst wie eine Mutter zu ihm - nun von Siedlern verbrannt wurde.

Wir haben alle möglichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Angriffe der Siedler zu stoppen, die sich weigern Ihren Gerichtsentscheidungen zu gehorchen, die immer wieder bestätigten, dass wir die Besitzer des Landes sind, welche die Entfernung der Zäune fordern, die sie errichtet haben.

Jedes Mal, wenn wir versucht haben uns unserem Land zu nähern und Ihre Entscheidungen umzusetzen, wurden wir von Siedlern angegriffen, die uns daran hinderten unser Land zu erreichen, so als wäre es das ihre.

Unsere Demonstrationen sind der Protest gegen die Ungerechtigkeit. Wir arbeiten Hand in Hand mit israelischen und internationalen Aktivisten, die wie wir glauben, dass wir alle in Frieden in diesem Land leben könnten, gäbe es nicht Besatzung.

Ich weiß nicht, welche Gesetze von Generälen aufrecht erhalten werden, die von Angst und Unsicherheit kontrolliert werden, noch kenne ich deren Ansichten zu dem zivilen Widerstand von Frauen, Kindern und alten Männern, die allein Hoffnung und Olivenzweige tragen.
Aber ich weiß, was Gerechtigkeit und Vernunft sind. Landraub und Bäume nieder zu brennen ist ungerecht. Die gewaltsame Unterdrückung der Demonstrationen und der Proteste und Ihre Gefangenenlagern sind kein Beweis der Illegalität unseres Handelns. Es ist unfair unter Gesetzen angeklagt zu werden, die uns aufgezwungen wurden. Ich weiß, dass ich Rechte habe und mein Handeln gerecht ist.

Der Militär-Staatsanwalt wirft mir vor Demonstranten dazu anzustacheln, Steine auf die Soldaten zu werfen. Das ist nicht wahr. Was die Demonstranten anstachelt Steine zu werfen ist das Sirren der Kugeln, der Anblick der Besatzungs-Bulldozer, wie sie das Land zerstören, der Geruch von Tränengas und der Rauch von brennenden Häusern. Ich habe niemanden dazu angestachelt Steine zu werfen, aber ich bin nicht verantwortlich für die Sicherheit Eurer Soldaten, die mein Dorf überfallen und mein Volk mit Waffen attackieren um uns zu töten, mit Ausrüstungen um uns zu terrorisieren.

Die Demonstrationen die ich organisierte hatten einen positiven Einfluss auf mein Denken, sie erlaubten mir Menschen von der anderen Seite zu sehen, die an den Frieden glauben und an meinem Kampf für die Freiheit teilhaben. Diese Freiheitskämpfer haben ihr Bewusstsein von der Besatzung befreit haben uns ihre Hände gereicht, bei friedlichen Demonstrationen gegen unseren gemeinsamen Feind, die Besatzung. Sie wurden zu Freunden, Schwestern und Brüdern. Wir kämpfen gemeinsam für eine bessere Zukunft für unsere Kinder und ihre.

Wenn ich vom Richter freigelassen würde, würde mich das davon überzeugen, dass doch noch Gerechtigkeit in Euren Gerichten herrscht? Unabhängig davon, wie gerecht oder ungerecht diese Entscheidung sein wird, und trotz all eurer rassistischen und unmenschlichen Praktiken und der Besatzung -, wir werden weiterhin an Frieden, Gerechtigkeit und an menschliche Werte glauben. Wir werden weiter unsere Kinder erziehen zu lieben, das Land zu lieben und die Menschen ohne Diskriminierung nach Rasse, Religion oder ethnischer Zugehörigkeit, so die Botschaft des Gesandten des Friedens, Jesus Christus, verkörpernd, der uns dazu auffordert unsere Feinde zu lieben.

Mit Liebe und Gerechtigkeit machen wir Frieden und bauen die Zukunft.

 (ts)

Ergänzende Links:
"Your Military Laws Are Non-Legit. Our Peaceful Protest is Just"

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