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39. Tag des Hungerstreiks von Firas Maraghy: Flaute [02.09.2010]

Bericht zu Firas Maraghy im Nachmagazin der ARD Am 39. Tag des Hungerstreiks von Firas Maraghy herrscht Flaute. Die Medien haben ihr Minimalpensum abgeleistet - von den TV-Stationen nur die ARD, zur Geisterstunde - und der Menschenrechtsausschuss des Bundestages, sowie der Bundestagsvizepräsident haben sich für Firas Maraghy eingesetzt.
Bisher alles ohne sichtbaren Erfolg, was einen allerdings im Angesicht eines Kontrahenten auch nicht wundern sollte, der im März - ohne mit der Wimper zu zucken - auch den us-amerikanischen Vizepräsidenten in aller Öffentlichkeit abwatschte.

Mit einem Eingreifen aus der deutschen Exekutive - der Regierung - ist so oder so kaum zu rechnen. Man erinnere sich an das Stillhalten der Bundesregierung, als Israel bei der Bombardierung des Libanon 2006 drei Mitglieder einer vierköpfigen deutsch-libanesischen Familie tötete. Ganz zu schweigen von den damaligen israelischen Angriffen auf UN-Posten, Flüchtlinge und Ambulanzen.

Maraghy hatte seinerseits angekündigt, daß er sich auf eine Reise nach Jersusalem einlassen würde, wenn er dabei von einem hinreichend prominenten deutschen Vermittler begleitet würde.
Dazu scheint bisher aber niemand bereit zu sein - und jene, die bereit wären, haben in Israel i.A. ohnehin keine Freunde.
Unmittelbar in den Sinn kommt einem natürlich Gregor Gysi. Nur ist dessen Position, die Menschenrechte und Israel betreffend, - gelinde gesagt - ambivalent.

Einen ganz kleinen Lichtblick gibt es ausgerechnet aus dem Tagesspiegel zu vermelden, der sich seinerzeit an vorderster Front an dem Vernichtungsfeldzug gegen Ludwig Watzal beteiligte. Hier verfasste Richard Szklorz, Mitglied der jüdischen Gemeinde, nicht nur einen gegenüber Firas Maraghy wohlwollenden Artikel, sondern er nahm in den Leserbriefspalten auch noch einmal gesondert Stellung zu den üblichen Kommentaren, die wie bei der Botschat bestellt wirken:

1. Der Staat Israel wurde gegründet, um Juden, die in der "Diaspora" verfolgt und diskiriminiert werden, eine Heimstatt zu geben, nicht um die im Lande lebenden Palästinenser zu diskriminieren und zu unterdrücken.
2. Ost - Jerusalem wurde widerrechtlich annektiert, ein Akt, der weder von der UN noch - meines Wissens - von irgend einem Staat auf dieser Welt anerkannt wurde.
3. Ein Staat der ein Gebiet annektiert (oder es okkupiert: Westbank), ist nach internationalem Recht für das Wohlergehen der Bevölkerung dieser Gebiete voll zuständig und verantwortlich (also nicht nur für seine Staatsbürger).
4. Da nach israelischer Lesart O. - Jerusalem Teil des Staatsgebiets wurde, ist es umso fragwürdiger, dass sich dieser Staat (und seine diplomatischen Vertretungen) immer noch nicht voll für dessen Einwohner verantwortlich hält.
5. Zur Gleichsetzung der staatenlosen, aber autochtonen Ostjerusalemer mit Staatenlosen oder Ausländern, die als Einwanderer in ein fremdes Land kommen: Ist das Ihr Ernst?
6. Die Okkupation (bzw. Annektion Ostjerusalems) dauert 43 Jahren an. Eine Realität, die schon vor der Geburt von Firas Maraghy etabliert wurde! Aus der Sicht allgemeiner und jüdischer Ethik und Menschlichkeit, ist es besonders schäbig, wenn Menschen wie Firas Maraghy und im Schlepptau nun auch sein Kind, für diese Realität zu büßen haben.
7. Ein anderes Beispiel für Ungleichbehandlung: Nach unterschiedlichen Schätzungen leben 700 000 bis 1 Million israelische Statsbürger im Ausland. Sie werden dennoch als Bewohner und Bürger Israels geführt. Sie können sich jederzeit wieder in Israel niederlassen.
8. Anders bei den O. - Jerusalemer Arabern. Nach 7 Jahren Auslandsaufenthalt erlischt das Rückkehrrecht. Die Behörden dort halten sich nicht einmal an die eigenen Vorgaben, sondern versuchen, im Ausland lebende arabische Ostjerusalemer schon nach viel kürzerer Zeit ihrer Rechte zu berauben (siehe Fall Maraghy).
9. Warum sollten die Damen und Herren vom "Zentralrat der Juden" nicht intervenieren? Es gibt eine besondere Beziehung zwischen Juden und Israel. Das ist die Realität, zu der sich der Zentralrat mit Recht öffentlich bekennt. Als Zentralrat würde ihre Stimme (hoffentlich) gehört werden. Sie können es gerne zusätzlich auch als deutsche Bürger tun.
10. Juden als "Nationalität": Das hat sich der große und geniale Führer (Woschdj) Josef Wissarionowitsch Stalin für die Juden in der Sowjetunion ausgedacht. Ein Geniestreich mit nachhaltigen Folgen. Viele aus der ehemaligen SU stammende Juden, glauben bis heute daran.
11. Derjenige, der mich und Herrn Maraghy als "Rädchen in der Delegitimierungskampagne gegen den Staat Israel" bezeichnet (denunziert), sei gesagt: Die politische Klasse Israels tut zu meinem großen Entsetzen alles dafür, diesen Staat durch dumme, kurzsichtige Politik zu delegitimieren. Zugegeben, ein abendfüllendes Thema.

Mit freundlichen Grüßen
Richard Szklorz

 (ts)

Ergänzende Links:
Solidaritäts Facebook-Seite für Firas Maraghy

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