Institut für Palästinakunde
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Buchrezension: "Der Würfelspieler" von Mahmoud Darwish [07.07.2010]

Frau Kristin Kretschmann danken wir für die folgende Rezension:

Mahmoud Darwish: Der Würfelspieler

Mahmoud Darwish (1941 - 2008) Der Würfelspieler ist das letzte Gedicht des palästinensischen Dichters Mahmoud Darwish, das er erst kurz vor seinem Tod im Jahr 2008 verfasste und veröffentlichte. Es ist die Vollendung seines dichterischen Werks und zugleich Rückblick und Infragestellen seines eigenen Lebens.
Darwish war einer der bedeutendsten arabischen Lyriker der Moderne. Berühmt wurde er durch seine frühe Dichtung, die noch stark von politischen Ereignissen und Ideologien geprägt war und nicht zu Unrecht als „Widerstandsdichtung“ bezeichnet wird. Im Gegensatz dazu hatte er sich in den letzten Jahren seines Lebens hauptsächlich mit persönlichen Fragestellungen befasst. Neben einer Sammlung aus Liebesgedichten veröffentlichte er mehrere Bände, in denen er die Erinnerungen seiner Vergangenheit zu verarbeiten suchte und sich mit dem eigenen nahenden Tod auseinandersetzte.

Das Gedicht Der Würfelspieler wirkt wie eine Art Fazit des persönlichen und dichterischen Lebens Darwishs, nahezu chronologisch zusammengefügt wie aus verschiedensten Abschnitten und Auszügen eines lebenslang geführten Tagebuchs. Nicht nur inhaltlich sondern auch stilistisch wechseln sich Hoffnung und Verzweiflung, Krieg und Liebe, Frage und Antwort, Schreie und Stille, nüchterne, fast analytische, Beschreibung und feinste, gefühlvolle Poesie miteinander ab.
Bereits in den ersten Zeilen formuliert Darwish die zentrale Frage nach der eigenen Daseinsberechtigung, die sich wie ein roter Faden durch das gesamte Gedicht zieht:

Wer bin ich denn euch zu sagen
Was ich euch sage?

Auf der Suche nach der Antwort lässt der Dichter die Ereignisse seines Lebens Revue passieren und kommt dabei immer wieder zu der Erkenntnis, ein Produkt des Zufalls zu sein, nicht mehr „als ein Würfelspieler“, der manchmal Glück und manchmal Pech hat. Mehrmals greift er die Flucht mit seiner Familie in den Libanon auf. Die innere durch den Verlust seiner Heimat entstandene Fremde spielt auch in diesem Gedicht eine Rolle. Darwish empfindet sich als ewig Reisender, der niemals in seine Heimat zurückkehren kann, und der allein durch seine Hoffnung überleben kann.
Den Beruf des Dichters sieht er ebenfalls als Ergebnis äußerer Umstände, die auch leicht hätten anders geschehen können. Er nimmt Bezug auf den Krieg und die politische Situation, die ihn erst zu dem gemacht haben, der er ist, ohne dass er es besonders gewollt hätte. Für ihn sind die Botschaften der Dichtung von Bedeutung, der Dichter hingegen ist nur Mittel zum Zweck, diese Botschaften zu übermitteln.
Nachdem er im Laufe seines Lebens unzählige riskante Situationen überlebt hat, nähert sich Darwish am Ende des Gedichts einerseits sehr sensibel, andererseits fast spöttisch dem Thema Tod. Er glaubt, ihn überlisten zu können, wenn er rechtzeitig den Arzt ruft. Hofft, so dem Nichts zu entkommen, das ihn nach dem Leben erwartet. Er hängt sehr an seinem Leben und bittet darum, nicht plötzlich aus dem Hier und Jetzt gerissen zu werden, sondern noch Abschied nehmen zu können, seine Erinnerungen bewahren zu dürfen.
Die Antwort auf die Frage nach der eigenen Identität, die ihn sein ganzes Leben lang begleitet hat, kann Darwisch bis zum Schluss nicht finden. So endet auch sein letztes, großartiges und tiefgreifendes Gedicht Der Würfelspieler mit den Zeilen:

Wer bin ich denn das Nichts zu enttäuschen?
Wer bin ich? Wer?

 (ts)

Ergänzende Links:
Buchvorstellung von "Der Würfelspieler"
Walter L. Mik und Sarjoun Karam rezitieren "Die Unvergänglichkeit des Feigenkaktus". Die komplette CD ist beim IPK erhältlich
„Der palästinensische Dichter Mahmud Darwisch (1941-2008)” - Bachelorarbeit von K. Kretschmann.

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