Institut für Palästinakunde
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Enttäuscht von „Oslo“? [27.09.2013]

Blaupause: Bantustans in Südafrika von Günter Schenk

Vor wenigen Tagen jährte sich der Jahrestag des Abschlusses der sogenannten Oslo-Vereinbarungen zum 20. Mal und zahlreich sind jene, die sich angesichts der Ergebnisse nach zwei Jahrzehnten von „Oslo“ enttäuscht zeigen. Ist diese Enttäuschung berechtigt? Ist sie begründbar, im Hinblick auf Zusagen der israelischen Seite, vor zwanzig Jahren? In meinen folgenden Ausführungen will ich versuchen, darzulegen, dass dort, wo die einen unzufrieden mit dem Erreichten sind, die Anderen Grund zu Genugtuung über die Ergebnisse haben.

Zunächst einmal fasse ich zusammen, was in Oslo tatsächlich vereinbart, in Wirklichkeit lediglich besprochen, vor dem Rasen des Weißen Hauses am 13. September 1993 feierlich verabredet wurde (von bindenden Zusagen, besonders von der israelischen Seite kann kaum bei „Verabredungen“ eine Rede sein).

Ging es tatsächlich, wie alle Welt allzu gern glauben wollte, um die Verabredung auf dem Weg zu einem, wie es hieß, ‚eigenständigen Palästina’? Was war mit ‚eigenständig’ gemeint? Es lohnt sich, die Texte der Vereinbarungen anzuschauen. Dort ist, gleich zu Anfang in der Überschrift von "Declaration of Prinicples on Interim Self-Government Arrangements“ die Rede. Kein Wort von der Errichtung eines souveränen Staates Palästina. Nur in einem kurzen Satz wird auf die ‚Verabredungen’ als Teil einiger UNO-Resolutionen (Resolution 242 und 338, aber nur dieser!) verwiesen (It is understood that the interim arrangements are an integral part of the whole peace process and that the negotiations on the permanent status will lead to the implementation of Security Council Resolutions 242 and 338..)

Declaration of Principles On Interim Self-Government Arrangements (middle east issues)

Kein Wort von den zahlreichen anderen UN-Resolutionen, die Palästinenser betreffend, seit der Staatsgründung, gerade so, als habe Vertreibung, Landnahme und Entrechtung in Palästina erst im Jahr 1967 begonnen, eine sicherlich nicht ganz ‚unschuldige’, jedoch nicht weniger unhistorische Reduzierung des Problems.

Tatsächlich sind die in Washington eingegangenen Verpflichtungen der israelischen Seite in den zwei Jahrzehnten seitdem nicht erfüllt worden. Gründe, gute und schlechte, ist die israelische Seite seitdem nicht müde geworden, darzulegen. Und schließlich handelte es sich in ‚Oslo’ nicht um ‚Absichtserklärungen’, mehr nicht? Dies ist natürlich zu bedauern, begründet sich aber, außer aus dem bewussten Unwillen Israels, aus der fehlenden Bereitschaft Washingtons, als – wie es sich selbst gern sieht – neutraler Vermittler Israel zur Vertragserfüllung zu zwingen.

Insoweit ist die Unzufriedenheit derjenigen, die auf einen gerechten Frieden in der südlichen Levante, dem historischen Palästina als Ergebnis der Gespräche setzten verständlich. Ganz anders jedoch sind die in Oslo gesetzten Hoffnungen seitens der israelischen Protagonisten bestens erfüllt worden. Man bedenke, wer das im Wesentlichen war: neben dem ermordeten PM Jizshak Rabin war das vor Allem der jetzige Präsident Schimon Peres, der zu keinem Zeitpunkt vom Herrschaftsanspruch - und ggf. selbst über die Palästinenser - d.h. über ganz Erez, wie er es versteht, Land zwischen dem Meer und dem Fluss, Abstand genommen hat.

So konnte Shimon Peres 15. April d. J., ohne die Unwahrheit zu sagen, erklären „Ich bereue die Oslo-Vereinbarungen nicht“. Recht hat er, denn seine und die Ziele seines Staates, die sukzessive Ausdehnung bis zum Jordan und der ungesetzliche Siedlungsbau, die fortgesetzte Judaisierung Ost-Jerusalems, diese alle erklärte Absichten von Peres, konnten, durch „Oslo“ ungehindert vorangetrieben werden. Dass ihn, Peres, dies nicht daran hinderte, öffentlich von der „Zweistaatenlösung“ zu sprechen, gehört zu den Widersprüchlichkeiten zahlreicher Äußerungen von Zionisten seit Ben Gurion und der Gründerväter.

Peres: Ich bereue die Oslo-Vereinbarungen nicht (ICEJ)

Was wurde, im Sinne der auf Expansion der Macht bis an das Jordanufer von Israel erreicht ?

a) die PLO unter Yasser Arafat hörte auf, eine nationale Befreiungsbewegung zu sein, zugunsten ihrer neuen Aufgabe als Verwalterin (’governance’) besetzter und "verhandelter Gebiete", nun in zahlreichen Erklärungen aus Israel – welch wundersame Wandlung! - nun, Israel folgend „umstrittener“ Gebiete.

b) Israel wurde dadurch - und durch die Einbeziehung 'Europas' – erheblich von Besatzungskosten entlastet, ohne de facto die Besatzung, d.h. das Recht auf "Oberaufsicht" aufzugeben. Israel handelte damit zynisch, indem es die Verwaltung der Besatzung, besonders die Kontrolle an die PA und die westlichen ‚Zahlerstaaten’ übertrug und damit einerseits erhebliche Besatzungskosten einsparte, anderseits nichts von seiner Kontrolle aufgab. Noch bedeutsamer: Israel brachte damit wesentliche Teile ‚des Westens’ dazu, die Verpflichtungen aus dem Völkerrecht durch wirtschaftliche Substitution der besetzten Gebiete abzulösen.

c) Israel hat damit bewusst die Zuständigkeit der Vereinten Nationen an die Europäer und die USA abgetreten, sich damit  aus den Verpflichtungen aus dem Internationalen Recht geschickt heraus gemogelt. Den unerfahrenen – und ohnehin machtlosen – Verhandlungsführern auf palästinensischer Seite ist dies, zumindest zunächst, entgangen.

d) da in "Oslo" nicht von einem selbstständigen Staat Palästina, sondern nur von "Verwaltungshoheit der Palästinenser über die ihnen zugesprochenen (sic) Gebiete" die Rede war, konnte Israel unter dem Schirm der "Oslo-Vereinbarungen", seine schon damals sehr aktive Siedlungspolitik fortsetzen (unabhängig davon, ob Israel eine 'linke' oder 'rechte' Regierung hatte.

e) die systemische Schwäche von Mahmud Abbas war von israelischer Seite, unabhängig davon ob er gewählt im Amt, oder nur als geduldeter Statthalter in den OPT, bzw. von Teilen davon, von Beginn an berechnet. Das Schicksal Yasser Arafats ist beredter Zeuge dieser Machtlosigkeit, als „König ohne Reich“ und – höchstens – über ein Drittel seines Staatsvolkes.

f) In der Zwischenzeit gelang es Israel, den Gaza-Streifen, für die Palästinensern immer ein integraler Bestandteil Palästinas, vom Westjordanland nicht nur räumlich, sondern auch in seiner Verwaltung abzutrennen. Indem dort die mit der Fatah konkurrierende Hamas die Verwaltung (sic) übernahm gelang es Israel sogar diese zunächst als Befreiungsbewegung fungierende Partei in die Rolle einer de-facto-Verwalterin des Gaza-Streifens zu zwingen, wodurch auch die Hamas längerfristig den Interessen Israels entgegen kommt: durch die Selbstauflösung einer nationalen palästinensischen Befreiungsbewegung zu einer regierenden Partei. „Governance anstelle von Resistance!“

g) Man kann diese Entwicklung sicherlich nicht allein Israel in die Schuhe schieben, auch auf Seite der Palästinenser ist ein großer Teil der Verantwortung zu sehen. Es kann jedoch nicht bestritten werden, dass sowohl politische Unerfahrenheit, faktische Machtlosigkeit und, wichtiger, das Fehlen internationaler Freunde und Unterstützer (Regierungen) den Palästinensern wenig Spielraum ließen und weiterhin lassen, sie hingegen Erpressungsversuchen aller Art ausliefern.

h) Wenn man dies berücksichtigt, ist es sicherlich nicht vermessen zu sagen, "Oslo" war von Beginn an ein 'erfolgreicher' Schritt Israels zu der jetzigen Situation.

Viele, am meisten die betroffenen Palästinenser, aber auch, dazu gehört auch der Autor dieser Zeilen, waren während „Oslo" geblendet, glaubten an einen möglichen dauerhaften Frieden, weil sie unterließen, Worte genau zu lesen, Texte zu hinterfragen und, mehr noch, mangels kritischen Verständnisses der wirklichen und weiter reichenden Zielen der zionistischen Führung(en) Israels.

Viele täuschten sich allzu gern, jedoch keinesfalls alle. Die Klügsten unter den Palästinensern (nur zu nennen ist Edward Said) wussten, was mit „Oslo" auf sie zukommen würde, hervorragende Leute aus der PLO-Führung verließen die Bewegung, einige bis zur Aufgabe exzellenter Posten (mit einem von ihnen, er lebt nun als deutscher Bürger in der Bundesrepublik) bin ich freundschaftlich verbunden. Sie konnten demnach von "Oslo" nicht enttäuscht werden.

Enttäuscht konnten nur wir, die Getäuschten, oder besser die, die sich haben täuschen lassen, sein. Erez Israel ging während dessen seinen Gang der zielstrebigen Besiedlung und der Entrechtung der Palästinenser, nun auch im Rest ihrer angestammten Heimat.

Was die Zukunft angeht, so ist „das Ergebnis des Spiels offen“. Je zielstrebiger Israel seine Besiedlungspolitik von Rest-Palästina fortsetzt, umso näher gerät es an seine Wirklichkeit als einen Apartheidstaat, in dem eine jüdische Minderheit über eine nichtjüdische Mehrheit regiert. Wie lange sich ein derartiger Status in einer offenen Gesellschaft, inmitten einer sich rasant entwickelnden Umwelt, halten lässt, daran sind Zweifel angebracht.

In keinem westlichen Staat jedoch, auch nicht beim bisherigen engen strategischen Freund Israels, en Vereinigten Staaten von Amerika ist Apartheid und Segregation Teil des Selbstverständnisses. Daran kann auch Frau Merkels fiktive „Wertegemeinschaft“ nichts ändern.

Günter Schenk, Straßburg am 15. September 2013


Günter Schenk (geb. 1940) wurde in Marburg/Lahn geboren. Nach seiner Ausbildung arbeitete er 40 Jahre lang als Vertreter eines grossen Wissenschaftsverlags.
Mit dem Nahostkonflikt kam der ohnehin politisch Engagierte nach dem zweiten Golfkrieg in Berührung. Nach einer intensiven Auseinandersetzungen mit dem Thema und einigen Reisen nahm er 2005 an der "Friedenskarawane für Palästina - Karawane der Rechts" teil, die 150 Teilnehmer von Straßburg nach Jerusalem führte.
Schenk ist Mitglied des Arbeitskreises Nahostpolitik der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. Grössere Bekanntheit errang er als Herausgeber von "Denk ich an Palästina - Palestine on my Mind".
Günter Schenk ist verheiratet hat vier erwachsene Söhne, drei Enkelkinder und lebt mit seiner französischen Ehefrau in Straßburg.

Interview mit Günter Schenk im Muslim-Markt.

 (ts)

Ergänzende Links:
20 facts: 20 years since the Oslo accords (oxfam)

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